Kapitalanleger dürfen auf die Angaben ihres Beraters bzw. Vermittlers vertrauen und müssen nicht zusätzlich die Prospekte mit Informationen über die Risiken von Finanzprodukten lesen. Dies entschied der BGH in einem Grundsatzurteil vom 08.07.2010 (AZ: III ZR 249/09). Unterlässt der Anleger eine „Kontrolle“ seines Beraters oder Vermittlers durch Lektüre des Emissionsprospektes, so weist dies nach Ansicht des BGH auf ein Vertrauensverhältnis hin und bedeutet keine grobe Fahrlässigkeit des Kunden.

Letzteres ist deswegen wichtig, da die dreijährige Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen beginnt. Damit widersprach der BGH diversen unterinstanzlichen Gerichte, die das Nichtlesen des Prospektes als "grob fahrlässig" eingestuft und Schadenersatzklagen von getäuschten Anlegern wegen Verjährung abgewiesen haben.

Die oft mehrere Hundert Seiten starken Verkaufsprospekte sind gespickt mit Fachtermini, Berechnungen und Risikohinweisen. Erfahrungsgemäß machen sich die wenigsten Anleger die Mühe, diese Ausführungen tatsächlich zu lesen. Dennoch hatten einige Gerichte Anlegern vorgeworfen, sie handelten durch das Ignorieren der Prospekte „grob fahrlässig“.

Diese Rechtsprechung kippte der BGH nun. Den Karlsruher Richtern reicht es, wenn Anleger sich auf die Worte ihres Beraters verlassen. „Eine grob fahrlässige Unkenntnis des Beratungsfehlers ergibt sich nicht daraus, dass es der Anleger unterlassen hat, den Emissionsprospekt durchzulesen und die Ratschläge und Auskünfte des Anlageberaters zu kontrollieren“, heißt es in der Urteilsbegründung. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt somit erst dann, wenn der Anleger das Risiko erkennt - auch wenn er zu diesem Zeitpunkt den Prospekt bereits Jahre in seinen Unterlagen hat.

Im konkreten Fall gab der BGH der Klage eines Anlegers statt, der 1999 für DM 150.000,00 Anteile am geschlossenen Immobilienfonds Turmcenter Frankfurt erworben hat. 2002 geriet die Beteiligungsgesellschaft in wirtschaftliche Probleme, 2005 stellte die finanzierende Bank die Fondsimmobilie unter Zwangsverwaltung. Nach den Feststellungen des Gerichts hat der Berater den Anleger nicht auf das Risiko eines Totalverlustes hingewiesen.

Bereits in der Vorinstanz hatte das Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 25.08.2009) den Berater zu Schadenersatz verurteilt, was nunmehr vom BGH bestätigt worden ist. Der beklagte Berater wollte das Kölner Urteil nicht auf sich sitzen lassen und legte es dem BGH vor, allerdings ohne den erhofften Erfolg.

Damit sind die Chancen von Anlegern, Schadenersatz  zu erhalten, spürbar gestiegen. „Wer beabsichtigt, gegen seinen Berater gerichtlich vorzugehen oder wer noch gegen seinen Berater prozessiert, kann diese neue Rechtsprechung in den eigenen Prozess einbringen“, so Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Patrick M. Zagni.

Mit dieser Grundsatzentscheidung ist auch ein ständiges Argument der beklagten Berater ein Riegel vorgeschoben worden, wonach der Berater seinen Informationspflichten durch die Übergabe von einem Stapel Papier erfüllt haben soll.

Es wird dringend angeraten, etwaige Ansprüche prüfen zu lassen.

 

Patrick M. Zagni

Rechtsanwalt / Fachanwalt für
Bank- und Kapitalmarktrecht